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Und denk´ an das Kabel!

Mein Nachbar Horst ist ein älterer Herr, der nicht mehr ganz gut hört und das aber durch gute Umgangsformen wettmacht, wo er kann. Mein launiges „Juten Tach!“ entgeht ihm oft, aber nie mit Absicht. Dafür stört er sich nicht am Lärm meiner Kinder. „Lärm?“, fragt er. „Welcher Lärm denn?“ Dann füllt er ihre Gießkännchen mit Wasser oder gibt ihnen das beste alle Kinderspielzeuge. Den Schlauch mit der Gartenspritze. Wir vertragen uns gut.

Eines nachmittags meinte Horst, ich könne mir gerne mal seinen Rasenmäher ausleihen. Ich war mir bis dahin gar nicht darüber im Klaren, dass ich Rasen hatte. Etwas kam dazwischen, so wie immer etwas dazwischen kommt. Ich lieh mir den Rasenmäher nicht, ich ließ die Wiese, wie sie war. Mir gefiel sie auch langhaarig mit Gänseblümchen und Löwenzahn. Eine Woche darauf gab Horst zu verstehen, er mähe jetzt. Was denn nun mit mir sei? Er ließe mir das Gerät auf der Terrasse, wenn ich wollte. Ich hatte einen Schraubenzieher in der rechten und ein dummes Gesicht in der linken Hand, zufällig mein eigenes, ich versuchte angestrengt, eine IKEA-Bauanleitung zu verstehen. „Ja, aber …“ Ich hätte gerne hilflos gerudert, hatte aber keine Hand mehr frei. Horst verstand. „Na, dann ein andermal.“

Gestern besah ich mir das Gestrüpp erneut. Bevor die wilden Tiere des Waldes einziehen und die Gänseblümchen höher stehen als der Kohlrabi, dachte ich, ist es Zeit für den Spießbürger-Move. Genau in dem Moment kam Horst vorbei. „Wollen Sie nicht …“ – „Doch, will ich. Kann ich jetzt gleich?“ Damit hatte er nicht gerechnet. Ich glaube, er war ein bißchen glücklich. Sofort lief er nach Kabeltrommel und Verlängerungsschnur. Ich war auch ein bißchen glücklich. Der Rasenmäher hatte nämlich einen Auffangkorb. Rührend besorgt demonstrierte Horst die Maschinenbedienung. Er konnte nicht wissen, dass ich zuhause jahrelang den Rasen mähen musste. Er konnte auch nicht wissen, wieviele Kabel ich mutwillig überfahren habe. Vor Wut. Ich war 16 und wollte am örtlichen Badesee Jungs beeindrucken. Mit meinem knallgelben Bikini, nicht durch kunstfertiges Rasenmähen.

Ich bin inzwischen nicht mehr 16, was man auch daran sieht, dass meine Bikinis nicht mehr gelb sind. Jungs beeindrucke ich nur noch versehentlich, und wenn, dann eher durch meine Befähigung zu handwerklichen Tätigkeiten. Das mag daran liegen, dass die Jungs ihrerseits inzwischen Männer sind. Ich schätze das. Aber zurück zum Rasen. Ich will gutes Handwerk zeigen. Kuck, ich bin erwachsen! Ich mähe keine Kabel mehr durch. Nicht mit Absicht und nicht aus Versehen. Der Rasenmäher rattert, hustet, verschluckt sich. Auffangkorb voll. Ich sehe meinen Mann entspannt ein Bier trinken. Ich sehe Horst gemütlich auf seiner Terrasse liegen. Ich leere das Körbchen und mähe weiter. Immer schön das Kabel rüberwerfen. Ich treffe den Kohlrabi. Egal, solange ich nicht drüber fahre. Einmal um die Ecke, wieder rüber mit dem Kabel, so dass es nicht in meine Fahrbahn zu liegen kommt. Ich treffe den Salat. Die zarten, hellgrünen Blätter sehen ganz erschrocken aus. Noch einmal umdrehen. Ich bleibe im Hochbeet hängen und sehe inzwischen etwas weniger glücklich aus. Ich hatte ganz vergessen, aus wie vielen verschiedenen Gründen ich Rasenmähen schon früher nicht leiden konnte. Weil Horst dafür aber nichts kann, ermahne ich mich die ganze Zeit, auf das Kabel zu achten, ramponiere verschiedenstes Gemüse und trage noch zwei Körbe Rasenschnitt weg.

Am Ende riecht alles frisch gemäht. Sogar ich. Ich setze mich auf meine Bank und betrachte mein Werk. Horst hatte recht. Hier musste wirklich dringend mal gemäht werden.