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Véronique Witzigmann: Das Marmeladenbuch

Ich besitze nur wenige Rezeptbücher, denn der sinnlichen Erfahrung Essen werden sie mehrheitlich nicht gerecht. Sie sind entweder nicht appetitlich gestaltet, zu kompliziert in der Durchführung oder ich habe die Zutaten gerade nicht zur Hand. Ich verarbeite, was in meinem Garten so anfällt, oder in den Gärten anderer Leute. Wozu mir nichts einfällt, das kommt in den Rumtopf. Wofür ich zu faul bin, das kommt auch in den Rumtopf. Die Erntezeit ist fast vorbei, mein Rumtopf ist groß und schwer, es passt auch langsam nichts mehr rein.

Die Äpfel, die jetzt reif werden, die Birnen, Quitten, Pfirsiche – soviel Rumtopf schafft kein Mensch. Das Marmeladenbuch von Véronique Witzigmann kam mir da gerade recht. Ein hübsches, schmales Buch im klassischen Insel-Bücherei-Stil. Ich nehme es mit in den Garten, setze mich auf die Bank und schlage Seite 80 auf: Der Apfel. Mit Tomate und Thymian, zum Beispiel. Erfreulicher Weise wächst beides neben meinem Apfelbaum. Genau jetzt.

Den Rezepten vorangestellt ist ein allgemeines Kapitel, in dem die wichtigsten Grundsätze des Einkochens erklärt werden. Wie man Einweckgläser sterilisiert, wie Gelierzucker funktioniert, welcher Fruchtaufstrich wie lange haltbar ist und was eigentlich Pektin ist. Am Ende des Buches hilft ein Register, dem vorhandenen Obst ein passendes Rezept zu finden.

Für ungefähr jedes Obst meines Garten gibt es mal schlichte, mal aufregende Marmeladenvarianten. Erdbeeren mit rosa Pfeffer – oder wie gewohnt mit Rhabarber. In der gartenobstlosen Zeit kann sich, wer möchte, an den Exoten versuchen: Mangos, Lychees, Bananen, Ananas oder Passionsfrüchte. Alle Rezepte sind übersichtlich dargestellt und verständlich beschrieben. Marmeladekochen mit Véronique Witzigmann ist ein bißchen mehr als Obst kleinschneiden, mit Gelierzucker auffüllen und 3 Minuten kochen – aber auch nicht so schwierig, dass mich schon beim Lesen der Mut verlässt. Alles klingt machbar, und ich möchte mir dauernd Marmeladenstullen machen.

Daran hat die Illustratorin Kat Menschik einen nicht geringen Anteil, die auch den Umschlag gestaltet hat. Das Obst auf ihren Zeichnungen sieht so saftig aus, die Gewürze duften so verführerisch, dass man riechen und schmecken kann, was für eine Marmelade das gibt.

Für Himbeeren mit weißem Pfirsich ist es in diesem Jahr schon zu spät, auch Schwarzkirschen mit frischer Minze müssen wohl bis zum nächsten Sommer warten. Aber Apfel mit Walnuss schaffe ich sicher noch. Ich freue mich sehr darauf!

Véronique Witzigmann: Das Marmeladenbuch
Insel Verlag Berlin 2014
16,00 €

Kat Menschik: Der goldene Grubber

Ein Vergnügen so alt wie das Märchen vom Rapunzel ist es, den Pflanzen beim Wachsen zuzusehen. Kat Menschik hat es wiederentdeckt.

Beurteile ein Buch nicht nach dem Einband, heißt es. Das war, bevor es „Der goldene Grubber“ von Kat Menschik gab. Ihr Buch fühlt sich vertraut an wie die Märchenbücher aus dem urgroßelterlichen Bücherschrank. Die liebten wir für ihre kunstreichen Illustrationen, ihre Goldschnitte, ihre Schnörkel. Alles, was daran verliebenswert war, hat Kat Menschik einfach mitgenommen. Die Buchdeckel sind goldgeprägt auf grünem Grund, das Vorsatzpapier illustriert, selbst der Schmutztitel bebildert, das Lesebändchen golden. Mit einem Wort: Es ist prachtvoll. Auf altmodische Art prachtvoll – genau wie ein Garten. Beurteilt dieses Buch also unbedingt nach seinem Einband!

Drinnen im Buch ist es dann noch einmal wie bei Rapunzel. Wir meinen es zu kennen, haben aber völlig vergessen, dass Rapunzel nicht nur die mit dem Zopf ist, sondern auch ein anderes Wort für Feldsalat. Frisch und modern sind Bilder und Texte in „Der goldene Grubber“. Gar nicht märchenhaft, sondern sehr erdverbunden. Kat Menschik erzählt „Von großen Momenten und kleinen Niederlagen im Gartenjahr“. Sie ist eine genaue Beobachterin, die mit viel Wärme in der Stimme schreibt. Mit leichter Hand führt sie durch ihre Beete, durch ihre Zeit. Sie fördert Schätze zutage, die womöglich nur kennt, wer selbst einmal ein Stück Boden umgegraben hat. Alle anderen wollen danach ein solches Stück Boden haben, das sie bearbeiten können. Kichernd, glücklich und etwas außer Atem stürzen wir lesend von einer Geschichte zur nächsten. Es ist ein sehr sinnliches Lesevergnügen.

„Der goldene Grubber“ ist vollständig durchillustriert. Die Zeichnungen sind klar und elegant. Schrift und Bildelemente verschmelzen miteinander. Jede einzelne Seite kann ich mir gerahmt über meinem Schreibtisch vorstellen, weil sie die Qualität, Kraft und Wirkung eines Plakats hat.

Am Ende kann man sich streiten, ob „Der goldene Grubber“ zu den Graphic Novels gehört, zwischen die Comics, neben die Gartenratgeber oder auf den Geschenketisch. Man kann den Streit aber auch einfach begraben und ein paar Vergissmeinnicht drauf pflanzen. Es ist ein Stück Buchkunst und Beweis dafür, dass Gestaltung dem Inhalt nicht schadet. Es sollte mehr solcher Bücher geben. Oder eigentlich überhaupt keine anderen.

Kat Menschik: Der goldene Grubber
Verlag Galiani, Berlin 2014
304 Seiten
Euro 34,99 (D)
ISBN 978-3-86971-083-9