Archiv des Autors: Steffi

Die Beelitz Heilstätten

Die Beelitz Heilstätten sind kein lost place im eigentlichen Sinne. Sie sind längst wieder bekannt, teilweise saniert und privatisiert, und nur ein kleiner Teil des riesigen Geländes kann noch besichtigt werden. Das geht bis zum Baubeginn am besten mit got2know, und zwar ganz legal. Auch wenn die Gebäude einigermaßen zerfallen sind, ist es kein unheimlicher Ort. Ganz offensichtlich haben die Leute, die dort waren, ihre Spuren hinterlassen. Alle. Die Sprayer und Fotografinnen, die Filmteams und Eventmanager. Es ist viel Kulisse, und drum herum die luftige, helle und etwas altmodische Bäderarchitektur, die an die Ostseebäder erinnert. Das wirkt beinahe heiter, wenn man den Zerfall ausblendet. So schwer ist das auch nicht, denn schon auf der Straßenseite gegenüber stehen die frisch in Stand gesetzten Gebäude des Frauensanatoriums.

Für die Ausflugsplanung:

Zuerst: Tour buchen! Eine Tageskasse gibt es nämlich nicht. Dann mit der Bahn bis zum Bahnhof Beelitz Heilstätten oder mit dem Auto auf der A 9, Ausfahrt Beelitz-Heilstätten/Fichtenwalde.

Dorfkind-Skills (5)

Dorfkinder verlassen das Haus nicht ohne Taschenmesser und Stoffbeutel. Der Stoffbeutel ist manchmal auch ein Korb oder ein Eimer. Man weiß ja vorher nie, was man unterwegs so findet: Ein Pilz will ordentlich abgeschnitten, ein Apfel zerteilt werden, und Pflaumen kann man ja nicht einfach so am Baum hängen lassen.

Dorfkind-Skills (2)

Ohne Fahrrad ist für Dorfkinder kein Leben. Jedenfalls solange nicht, bis sie Moped fahren können, und mit „können“ ist keineswegs „dürfen“ gemeint. Dabei gilt, dass jedes Fahrrad, das auf dem Gehöft herumliegt, weil es gerade niemand anders braucht, ein gutes Fahrrad ist und weggefahren werden darf. Ich bin also sehr oft mit Mamas oder Omas Rad im Stehen zum See gefahren, zum Bäcker oder zum Konsum, beides 28er Räder und mir viel zu groß. Ich habe niemals ein Fahrrad angeschlossen. Es hat auch sonst niemand ein Fahrrad angeschlossen, es hatten alle die gleichen ollen Gurkenfahrräder, nur in verschiedenen Farben. Es wäre aber auch nichts zum anschließen da gewesen: Räder wurden angelehnt oder irgendwo fallen gelassen. Und den ganzen Sommer über war ein Badehandtuch auf meinem Gepäckträger. Die eine Luftpumpe dagegen musste für die ganze Familie reichen und blieb deshalb stets in Papas Hängergarage. Schlimmer Weise fahre ich heute noch so. Mit Handtuch, ohne Luftpumpe und ohne Helm, Schloss vergessen, Schlüssel verbummelt. Stadttauglich ist das nicht.

Dorfkind-Skills (1)

Dem Mann wurde neulich bedeutet, er sei ein Naturbursche. Bis dahin dachte ich immer, wenn irgend jemand bei uns ein Naturbursche ist, bin das ja wohl ich. Seitdem denke ich darüber nach, was genau Naturburschenhaftigkeit ausmacht. Umstandslos die beste Stelle am Badesee besetzen gehört auf jeden Fall dazu. Wer in einer Gegend ohne Schwimmhallen und Freibäder groß geworden ist, kann das einfach.

Nur die Liebe zählt nicht.

Drüben auf dem Schnipselfriedhof hat mein Freund Volker mich zuerst über alle Maßen gelobt, um mir dann eine Frage zu stellen, über die ich etwas länger nachdenken musste:

Was ist für euch besonders – von Freundschaft, Liebe und Familie abgesehen? (Kurze Erläuterung: ich denke manchmal, dass das Besondere verschwindet, weil (in der ersten Welt) fast alles immer sofort verfügbar ist. Man kann nicht mehr von einer Reise erzählen, ohne dass die Hälfte der Freunde schon dort war. Man kann kein tolles Bier mehr in einer kleinen Brauerei irgendwo auf dem land entdecken und dann von der Erinnerung zehren, weil man es bald darauf auch im Späti um die Ecke findet. Man kann ein tolles Foto nicht mehr bewundern, weil man schnell weiterscrollen muss, weil es noch soviele tolle Fotos bei Instagram zu sehen gibt. Anders gesagt: Plötzlich ist alles Karamell-Meersalz. Oder etwa nicht?)

Aber Volker! Nein, nein und nein. Das Besondere verschwindet nicht. Es ist die ganze Zeit da, und jede Menge davon. Es ist aber ein bißchen wie mit Krokussen – die sind die meiste des Jahres nicht zu sehen, obwohl sie da sind. Deshalb stecke ich immer Esslöffel ins Beet, wo ich Krokusse erwarte, damit ich sie nicht versehentlich beim Umgraben ramponiere. Ich klebe auch neonbunte Papierstreifen in Bücher, um die besten Stellen wiederzufinden und mache Polaroids von den besten Stellen im Leben. Die besten Stellen im Leben sind meistens etwas unscheinbar. Man muss ihnen von heute aus hinterherschauen, um sie funkeln zu sehen.

Ich habe neulich drei Stunden lang Stefan Schwarz fotografiert. Um Missverständnisse auszuschließen: Stefan ist alles andere als unscheinbar und gerade deshalb nicht leicht zu fotografieren. Die meisten Menschen lassen irgendwann einfach los, entspannen sich, fallen aus der Rolle. Ab da werden Porträts interessant. Stefan macht das nicht, er hat die Energie eines Schauspielers in einem Castorf-Stück, er hört einfach nicht auf. Fotografieren ist dann so, als würde man einem Eichkater hinterher eilen, aber mit Gipsbein und Marschgepäck. Eichkater sind zufällig meine Lieblingstiere, also renn´ ich eben, so gut es geht. Ich sehe mir die Bilder seitdem immer mal wieder an. Es sind fast 70 Stück, ganz verschieden, und ich frage mich immer noch, welches Stefans Gesicht für alle Tage ist. Der Tatort-Komissar? Der stylische Typ aus der H&M-Werbung? Der Flaneur im Park? Ehrlich, ich weiß es nicht. Aber wenn ich solange darüber nachdenke, war es besonders.

Zu den besonderen Momenten gehört unbedingt auch der, als ich mal mit Volker in einen Dorfkonsum ging, wir Kekse, Brause, Buletten, Würstchen, Senf und hoffentlich Konsumschrippen zum Essen gekauft und uns damit auf eine Waldlichtung gesetzt haben. Absolut kein Salzkaramell, und nur, weil wir Zeit überbrücken mussten. Das Gras war frühlingsnass, das Idyll mittelmäßig und wir dachten, gleich kommt ein Wildschwein dazu, bindet sich eine Serviette um und fragt, was es zum Kompott gibt. Eigentlich wollten wir zum Fußball. Fußball und Volker gehören zusammen wie Buletten und Champagner. Aber ich brauchte Fußballplatzfotos, Volker hatte eine Idee, und wir sind einfach losgefahren. Das gehört absolut in die Momente-Schatzkiste.

Oder wie ich immer dachte, ich wüsste alles über Liebe, und dann hatte ich plötzlich ein Kind zu beschützen. Aber nee, Liebe zählt ja nicht, sagt Volker. Dabei ist Liebe echt krass! So sehr, dass ich bei Hochzeiten immer wieder heulen muss, was blöd ist, wenn ich die Fotografin bin. Als vor ein paar Tagen meine Freundin Cosima geheiratet hat und sich bei der Reis- und Blütenblätterherumwerferei kaputt gelacht hat, selbstverständlich unter Tränen: Das war hinreißend. Überhaupt heiraten. Da kommt jemand und sagt: Ey Baby, kein Mensch weiß, wie das Leben wird, aber lass uns zusammen das Beste draus machen! Das finde ich angesichts der Endlichkeit des Lebens mutig, schön und besonders. Wahrscheinlich, weil Mut ein bißchen unter die Räder gekommen ist.

Und Fußball natürlich – Fußball ist voller Spezialmomente. Vorgestern haben wir mit einem Tor in letzter Minute gewonnen. Ich seh` Sebastian Polter immer noch in Erlöserpose vor dem Tor stehen. Aber das ist vielleicht etwas abseits des für normale Menschen Verständlichen.

Manchmal finde ich nicht das richtige Transportmittel für solche Momente. Es könnte ein Zeitraffervideo sein, oder eine Zeichnung. Ein Polaroid oder Text. Eine Sprachnachricht oder der Baum, den ich da drüben gepflanzt habe. Aber es macht mich froh, alle diese Möglichkeiten zur Hand zu haben, damit zu spielen, zu probieren. Was dabei entsteht, sortiert sich später von selbst. Einiges merke ich mir, vieles vergesse ich. Was übrig bleibt, ist besonders.

Darauf ein Storchbier. Das kriegste nicht außerhalb von Lychen, Volker. Aber kannst mich ja besuchen kommen! Ich kenne den Braumeister.